"Jugendliche mit Migrationshintergrund sollen unbedingt politisch mitreden" - Toplum24
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"Jugendliche mit Migrationshintergrund sollen unbedingt politisch mitreden"

Mürvet Öztürk, seit 2008 Abgeordnete im Hessischen Landtag, seit September 2015 fraktionslose Abgeordnete (vorher bei Bündnis90/Die Grünen, jetzt ist sie mit deren Asyl- und Flüchtlingspolitik nicht mehr einverstanden, sie will keine Asylbewerber 1. und 2. Klasse)

Frage: Was war der Anreiz, dass Sie Politikerin geworden sind bzw. hätten Sie schon in unserem Alter gedacht, einmal Politikerin zu werden?

Antwort: Also, mit 17 hätte ich noch nicht gedacht, dass ich aktive Politikerin werde, aber das war schon das Alter, wo ich mich über gesellschaftliche Verhältnisse geärgert habe. Das war noch vor der Wiedervereinigung, da ging es eher darum, dass die jungen Menschen mit ausländischem Hintergrund, also „Gastarbeiterkinder“, in der Schule und in der Bildung benachteiligt waren, es wurde über die doppelte Staatsbürgerschaft diskutiert und ich war damals als junge Frau der Meinung, wir sind hier geboren und aufgewachsen, wir gehören zu Deutschland, und ich möchte irgendwann einmal, dass die Politik nicht über uns spricht, sondern mit uns. Von daher wäre es wichtig, dass man aktiv an der Politik teilnimmt. Meine Idee war eher, zivilgesellschaftlich aktiv zu werden, aber nicht direkt als Politikerin. Aber heute kann ich nur sagen, auch als Politikerin kann man viel bewegen und möchte junge Menschen eher dazu animieren, diesen Weg zu gehen, die Hürde zu nehmen und auch zu kandidieren, denn die Zivilgesellschaft ist wichtig, aber politische Akteure mit Migrationshintergrund sind noch wichtiger und eigentlich haben wir gar keinen „Hintergrund“, denn wir gehören ja dazu. Mein Appel:

Ich habe im Jahre 2006 angefangen im Kreistag, erst kommunalpolitisch und dann im Stadtparlament in Wetzlar, und bin seit 2008 im Landtag.

Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn man politisch mitgestalten will, ist es wichtig für die jungen Menschen, schon sehr früh in politische Parteien einzutreten, um das Innenleben der Parteien kennenzulernen und auch die Menschen, die später ja, wenn sie im Landtag oder Bundestag sind, auch die Entscheidungsträger sind. Erst wenn man in den politischen Jugendorganisationen aktiv ist, lernt man die Verwaltung anders kennen, man lernt die Kommunalpolitik anders kennen, man lernt die hauptamtlichen Politiker anders kennen und Politik ist nun einmal eine Machtfrage und eine Frage des „Handwerks“. Es gibt keine Schule, wo man hingehen und eine Ausbildung zum Politiker machen kann, so wie Zerspannungsmechaniker oder Groß- und Außenhandels-Kauffrau, was ich bin. Aber wenn man in der Politik erfolgreich sein will, muss man trotzdem das „Handwerk Politik“ kennenlernen. Ich finde, je früher man in Parteien aktiv ist und das „Handwerk“ des Politikers kennenlernt, desto einfacher ist es auch später, zu bestehen, zu existieren und lange in diesem Geschäft drinzubleiben, weil man einen langen Atem braucht. Und wenn man die Gesellschaft verändern will, geht das nicht in ein bis zwei Jahren, sondern das geht in Prozessen von 10 – 15 Jahren und dafür, so eine Ausdauer zu haben, ist es wichtig, in politischen Gremien zu sein. Das wäre mein Appell an die Jugend, auf jeden Fall in die Parteien zu gehen. Parallel kann man immer noch in Vereinen sein, aber auch in die Parlamente, Kreistage, Stadtverordnetenversammlungen und dann später in die Landtage reinzugehen. Dort haben wir zu wenige Menschen mit Migrationshintergrund, sei es türkisch oder ein anderer Hintergrund, auch in der Verwaltung sind viel zu wenig Leute, die im Hintergrund der Politik arbeiten oder im Vordergrund der Politik. Deswegen gebt Euch einen Ruck und geht in die Partei, die Euch am Herzen liegt.

 

Handan Özgüven, seit 1.12.2015 Landtagsabgeordnete der SPD, vorher kommunalpolitisch aktiv im Stadtparlament und im Kreistag Marburg-Biedenkopf

Frage: Was war der Anreiz, dass Sie Politikerin geworden sind bzw. hätten Sie schon in unserem Alter gedacht, einmal Politikerin zu werden?

Antwort: Ich habe eigentlich relativ spät angefangen, mich für Politik zu interessieren. Das war erst im Studium in den 90’er Jahren. Hintergrund dessen war, dass die CDU damals unter Helmut Kohl nun seit Jahren herrschte und mir die sozialen Schwierigkeiten besonders aufgefallen sind. Die Idee der Sozialdemokratie und die Idee der Chancengleichheit waren für mich sehr wichtig. Chancengleichheit existiert de facto nicht, auch heute noch nicht; in den 90’er Jahren war das natürlich noch deutlicher. Bildungsferne Schichten haben es einfach schwerer, aus ihrer Schicht herauszuwachsen, Bildung zu genießen und das muss politisch unterstützt werden. Das ist eine Idee der Sozialdemokratie. Zu den bildungsfernen Schichten gehören leider auch viele Menschen mit Migrationshintergrund. Ich habe eben auch diesen Migrationshintergrund und ich denke, das war mit ausschlaggebend für mich, warum ich mich interessiert habe und dann Ende der 90’er Jahre den Entschluss gefasst habe, mich auch politisch zu betätigen mit dem Beitritt in die SPD.

Appell von Handan Özgüven

Wenn man Politik mitgestalten möchte, das heißt, an bestimmten Entscheidungen mitwirken möchte, dann ist an erster Stelle wichtig, dass man von seinem Wahlrecht Gebrauch macht. Das halte ich für sehr wichtig, denn es ist der erste Schritt, um etwas verändern zu können. Leider ist die Wahlbeteiligung in Deutschland immer sehr gering, aber ich denke, man muss sich ins Bewusstsein rufen, insbesondere Ihr Jugendliche könnt viel bewegen, allein mit Eurem Stimmrecht. Darüber hinaus möchte ich nochmals bekräftigen, was auch mein Kollege Turgut Yüksel gesagt hat, man muss nicht aktiv durch irgendwelche politischen Ämter mitwirken, um Veränderungen bewirken zu können. Im ersten Schritt reicht es, wenn man in Vereinen aktiv ist, z.B. in Sportvereinen, denn auch dort bekommt man die gesellschaftlichen Missstände und Missverhältnisse mit und die Probleme, die dann wieder politisch, sei es auf kommunaler oder höherer Ebene gelöst werden können. Das wären die ersten Schritte, die Ihr als Jugendliche machen könnt und ich denke, der Rest wird dann irgendwie kommen, dass man sich vielleicht auch tatsächlich politisch engagiert. Aber wichtig ist, denke ich, erst einmal vom Wahlrecht Gebrauch machen, in Vereinen aktiv sein und so weiter.

 

Turgut Yüksel, seit 2014 Landtagsabgeordneter der SPD, davor 16 Jahre im Stadtparlament Frankfurt

Antwort: Warum ich Politik mache? Seit ich 16 war, bin ich politisch interessiert und habe schon in der Türkei angefangen, mich politisch zu engagieren, weil ich die Welt verändern wollte und das will ich immer noch, aber jetzt versuche ich, es professionell zu tun. Ich habe vielleicht die Welt nicht ganz verändert, aber versuche, dazu beizutragen, dass soziale Gerechtigkeit herrscht in der Stadt in der ich lebe, in dem Land in dem ich lebe und auch in der Welt in der ich lebe. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben gewählt, als ich 40 Jahre alt war und das bedeutet, ich bin nicht in die Politik gegangen, um Politiker zu werden, sondern um mich für das Gemeinwesen und für die Gesellschaft zu engagieren, damit jeder in dieser Gesellschaft einen Platz hat, unabhängig davon, aus welchem Land, aus welcher Kultur, aus welcher Religion und aus welchem Geschlecht man stammt.

Mein Appell an die Jugendlichen: Ich würde jetzt nicht sagen, Ihr sollt unbedingt kandidieren, denn Politik heißt nicht nur, sich in den Parteien oder im Parlament zu engagieren, sondern in der unmittelbaren Umgebung wo Ihr lebt und Euch bewegt, solltet Ihr Euch dafür einsetzen, dass die Gesellschaft gerechter wird. Dafür gibt es Vereine, Verbände und auch Parteien. Wenn Ihr Euch dort engagiert, habt Ihr die Möglichkeit, auch Parlamentarier zu werden.

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